Home | Theater/Musik | Verfeinerung statt laute Dramatik
Verfeinerung statt laute Dramatik

Verfeinerung statt laute Dramatik

Matthias Foremny dirigiert “L’Ancètre” von Camille Saint-Saëns in München.

„Wenn ‚L’Ancètre‘ von Puccini oder von Mascagni wäre, würde man es im nächsten Jahr auf allen Opernbühnen der Welt spielen, aber es ist von mir, das ist etwas ganz anderes.“ Camille Saint- Saëns betrachtete die eigene Position nach der Uraufführung seiner zwölften von insgesamt dreizehn Opern zu Anfang des 20. Jahrhunderts realistisch. Jetzt brachte die Theaterakademie August Everding zum Jubiläum ihres 25jährigen Bestehens das düstere Werk mit jungen Sängern und Alumni im Münchner Prinzregententheater heraus. Am Pult steht für diese Zusammenarbeit mit dem Palazetto Bru Zane Matthias Foremny, Professor der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ und Kapellmeister der Oper Leipzig.

von Roland H Dippel

„Samson et Dalila“ ist bis heute Camille Saint-Saëns‘ bekannteste Oper. „L’Ancètre“ (Die Ahnin) dagegen wurde nach der Uraufführung am 24. Februar 1906 an der Opéra de Monte Carlo und einer Aufführungsserie an wichtigen französischen Opernhäusern schnell vergessen, deren  Eigenwilligkeit bis heute noch nicht in gebührendem Umfang gewürdigt. An den ausladenden Trends der Jahrhundertwende wollte der vor allem als Instrumentalkomponist geschätzte Franzose mit seinen späteren Opern nicht partizipieren: Also kein Naturalismus, keine Vergötterung Bayreuths, dafür kritische Distanz zu Imitationen vergangener Epochenmerkmale und eine äußerst maßhaltende Dosierung von musikalischem Kolorit. „L’Ancètre“ besticht in nur neunzig Minuten Spieldauer mit einer an den Tugenden der französischen Vokalmusik gewachsenen Verfeinerung: Sehr gekonnte Melodienerfindung, eine apart an Berlioz geschulte Instrumentation und insgesamt gewinnende, homogene Faktur. In dieser Partitur steht Saint-Saëns etwa Thomas, Lalo und den Verdis Spätwerken näher als Gounod, Massenet, Debussy. Wagners Kompositionsprinzipien lehnte er ab im Formplan seiner musikalischen Szenen, stellte Sinnbezüge vor allem durch Akzente der Instrumentation her wie in dem fast pastoralen Liebesduett Tebaldos und Margaritas.

Das Münchner Rundfunkorchester erinnert in der tollen Akustik des Prinzregententheaters an jene großen Zeiten, als es einer der weltweit wichtigsten Klangkörper für Opern- und Operetten-Aufnahmen war. Die einen Bienenschwarm zeichnenden Streicherfiguren, die stellenweise pastoral tönende Instrumentation und das Geschick von Saint-Saëns, mit Klangfarben stimmliche Wirkungen seiner schnörkellosen Vokalsätze zu steigern, kommen unter Matthias Foremny zur bestmöglichen Geltung. Den spezifischen Geist der Komposition realisiert man optimal. Zum einen hat man für die Besetzung der jungen Figuren und ihre apart zwischen den Stimmlagen positionierten Partien passende Besetzungen aus dem Masterstudiengang Musiktheater/Operngesang (Margarita: Milena Bischoff, Vanina: Céline Akcag, Raphaël: Jeong Meen Ahn, Bursica: Damien Gastl) und des Schauspiel-Studiengangs (Leandri: Emery Escher). Die beiden Gäste (Nunciata: Heike Grötzinger, Tébaldo: Thomas Kiechle) integrieren sich angemessen und harmonieren mit den jungen Stimmen außerordentlich gut: Präzision und Sensibilität statt extrovertiertes Auftrumpfen.

Die größte Leistung dieser Produktion ist, dass die grausame Handlung nicht durch grobe extrovertierte Bühnenwirkungen und damit dem Gestus der Musik zuwiderlaufender Drastik auf die Bühne kommt. Auf die Anregung des Komponisten erfand der Librettist Lucien Augé des Lassus ein Sujet, das der Insel Korsika zugeschriebene Ehrenhändel mit archaisch anmutender Folgerichtigkeit und Unerbittlichkeit vorführt: Der seit Generationen dauernde Konflikt zwischen den Familien Pietra Nera und Fabiani gipfelt darin, dass die erblindende Urahnin Nunciata nicht, wie sie vorhat, mit einem Gewehrschuss den Gegner Tebaldo trifft, sondern ihre eigene Enkelin Vanina. Ein Liebestod, denn Vanina opfert sich für das Glück Tebaldos mit ihrer Rivalin Margarita.

Ganz ohne musikalische Schauereffekte zeichnet Saint-Saëns in den ausgedehnten erzählenden und beeindruckend realisierten chorischen Szenen die Geschichte dieser Familienfehde nach.

Eva-Maria Höckmayr in Verantwortung von Regie und Bühne schafft auf der von rußigen Rückständen bedeckten Spielfläche eine düstere Grundstimmung. Julia Röslers einfache korsische Trachten für die jungen Frauen wirken wie Stilzitate. Vom Schnürboden hängen Galgen mit Gewändern, die auch mehrfach den Boden bedecken. Der schattenhaft geführte Chor fördert die balladeske und distanzierte Grundstimmung, Lichtkegel durchschneiden das Halbdunkel. Höckmayr unterbindet bei ihren jungen Sängern eine zu körperlich akzentuierte Darstellung und legt den Schwerpunkt auf textdeutliche, konzentrierte Deklamation. Durch diese spannungsvoll aufgeladene Ruhe steigert sie die bedrohliche, dabei an keiner Stelle in melodramatische Extrovertiertheit übergreifende Grundstimmung. Das wirkt absolut konform mit der klassizistisch distanzierten Komposition: Diese Klangtableaus mit ganz feinen Pinselstrichen widersetzen sich der Kategorisierung zu einem der modischen Genres der Entstehungsjahre. Letztlich also episches Musiktheater, weil der in seiner Klarheit noble Saint-Saens keine groben Attacken auf die Emotionen seines Publikums vorhatte. Insofern ist nicht nur die Entdeckung dieser ganz besonderen Oper voll gelungen, sondern auch die alle Vorzüge des Werks herauskristallisierende Ökonomie ihrer Realisierung: Eine erstklassige Musiktheater-Produktion.

 

Annotation:

Termine: Mi 20.03.2019 – Fr 22.03. (besuchte Vorstellung) – Di 26.03. – Sa 30.03., immer 19:30 – Theaterakademie August Everding im Prinzregententheater München / Münchner Rundfunkorchester – Sendung auf BR Klassik am So 28.04., 19:05; besuchte Vorstellung 22.03.2019; veröffentlicht 26.03.2019

 

Was noch:

Prof. Ulf Schirmer, Intendant und Generalmusikdirektor der Oper Leipzig, erhielt für die CD-Einspielung „Proserpine“ von Camille Saint-Saëns mit dem Münchner Rundfunkorchester den International Classical Music Award (ICMA) 2018 in der Kategorie »Audio: Oper« (erschienen bei Palazzetto Bru Zane)

Credits:

alle Bilder © Jean-MarcTurmes

Scroll To Top