Eine solche ist in der aktuellen „Tosca“-Inszenierung am Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg zu erleben. Ohne den oft anzutreffenden, teilweise in Kitsch ausartenden Pomp anderer Aufführungen ermöglicht sie den ungestörten Blick auf die Handlung und dem Publikum eines der kleineren Theaterhäuser das Erleben eines der großen Werke der Musikliteratur. Auch musikalisch wie szenisch steht viel Gutes auf der Haben-Seite.
von Frieder Krause
Regisseur Rainer Wenke setzt im Erzählen des dramatischen Geschehens auf seinen reichen Erfahrungsschatz, bleibt sozusagen „am Werk“ und nutzt alle Chancen der bewusst gewählten schlichten Ausstattung. Für das Publikum ist die Wahl der deutschen Fassung von Max Kalbeck ein weiterer Gewinn im Handlungsverstehen. Zudem die gute Personenführung Wenkes. Ein besonders bewegender Moment gelingt ihm mit dem Auftritt des singenden Kindes Anfang des dritten Aktes. Der mitgeführte grüne Zweig symbolisiert trotz des tragischen Geschehens Hoffnung wie Frieden.
Ausstattungsleiter Martin Scherm hat in der erwähnten Schlichtheit dennoch keines der vertrauten Handlungssymbole „unterschlagen“ und erschließt so die handlungsdienlichen Stimmungen für den Kirchenraum, den Palast Scarpias samt integrierter Folterkammer und den Hinrichtungsort. Kostümmäßig erweist sich allein Toscas Straßenkleidung im ersten Akt als unglücklich. Angesichts des noch jungenhaft wirkenden Cavaradossi besteht die Gefahr einer Assoziation von Mutter und Sohn.
Puccinis Meisterwerk ist nach wie vor ein emotionales Füllhorn. Die Erzgebirgische Philharmonie Aue unter ihrem GMD Naoshi Takahashi ist jederzeit in der Lage, die Facetten von leidenschaftlicher Liebe, Freiheitswillen, Hass, aufkeimender Gefahr und Tod in all ihren Farben auszureizen. Bedingt durch den kleinen Orchestergraben stellenweise etwas zu mächtig. Der hauseigene Chor, Extra- wie Kinderchor und die Mitglieder der freien Chorvereinigung Coruso e.V. unter der Leitung von Jens Olaf Buhrow machen zudem deutlich, dass auch ohne eines Riesenapparates ein eindringliches Tedeum hörbar werden kann. Dabei unterstützt wiederum Rainer Wenke mit seiner Personenführung. Da darf es in der Freude über den angeblichen Sieg über Napoleon auch mal eine flott tanzende Nonne sein.
Sängerisch gelingt bereits der Auftakt mit dem kraftvollen Bass Volker Tanckes in der Rolle des verfolgten Angelotti. Ein toller Einstieg des neuengagierten Choristen. Stimmlich wie darstellerisch zeichnet Laszlo Varga eine typgerechte Studie des ob der Unordnung im Kirchenraum nörgelnden wie untertänigst gläubigen Mesners. Für den jungen Sänger Jason Lee ergibt sich mit dem Cavaradossi eine echte Herausforderung in seiner ersten Hauptrolle. Er stellt sich dieser mit einer immensen Fleißleistung, findet dafür schöne lyrische Töne, eine metallische Strahlkraft muss noch wachsen. Darstellerisch weiß er vor allem beim Verbergen Angelottis und in seinem Jubel über den doch noch gelungenen Sieg über Napoleon zu überzeugen, weniger im Zusammenspiel mit Tosca. Dagegen hat Jason-Nandor Tomory die Reife für deren Gegenspieler Scarpia. Mit Noblesse und Diabolik formt er seinen römischen Polizeichef. Auch stimmlich bleiben da keine Wünsche offen. Bravo. Als willfährige Gehilfen des Bösen erweisen sich Marcus Sandmann (Spoletta) und Matthias Stephan Hildebrandt (Sciarrone). Das singende Kind gestaltete in der Premiere bravourös Corvin Kriesel.
Wenn man als Theaterleitung „Tosca“ auf den Spielplan setzt und diese hauseigen bestreiten will, muss man sich derselben sicher sein. Annaberg kann dies! Bettina Grothkopf ist die wie eine Löwin um ihre Liebe Kämpfende, die im Endeffekt nicht nur durch den Todesstoß für Scarpia Überlegene. Wunderbar ihre stimmlichen Nuancen in der großen Arie von Schönheit, Kunst und Liebe, bewegend ihre großen Gefühlsausbrüche.
Puccinis Meisterwerk stellt immer wieder die Frage, wie die Titelheldin zu Tode kommt. Rainer Wenke wählt eine plausible Form. Tosca erdolcht sich mit einer der auf sie gerichteten gegnerischen Waffen.
Starker, mit Bravi (vor allem für Grothkopf) durchsetzter Applaus, gemischt mit der Dankbarkeit, dies in der Region so erleben zu dürfen.
ANNOTATION
TOSCA, Musikdrama in drei Akten nach Victorien Sardou, von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica, Musik von Giacomo Puccini, Deutsch von Max Kalbeck
Musikalische Leitung GMD Naoshi Takahashi
Inszenierung Rainer Wenke
Ausstattung Martin Scherm
Chöre Jens Olaf Buhrow
Dramaturgie Annelen Hasselwander
Floria Tosca, berühmte Sängerin Bettina Grothkopf
Mario Cavaradossi, Maler Jason Lee
Baron Scarpia, Chef der Polizei Jason-Nandor Tomory
Cesare Angelotti Volker Tancke
Der Mesner Laszlo Varga
Spoletta, Agent der Polizei Marcus Sandmann
Sciarrrone, Gendarm Matthias Stephan Hildebrandt
Ein Richter Matthias Pohl
Ein Kind Fenja Thiele/Corvin Kriesel/
Anton Takahashi
Chor, Extrachor und Kinderchor des Eduard-von-Winterstein-Theaters; Mitglieder der Freien Chorvereinigung Coruso e.V.
Es spielt die Erzgebirgische Philharmonie Aue.
Vorstellungen:
Sa, 02.02.2019, 19.30 Uhr
Fr, 08.02.2019, 19.30 Uhr
Do, 14.02.2019, 19.30 Uhr
So, 17.02.2019, 19.00 Uhr
So, 10.03.2019, 19.00 Uhr
Sa, 20.04.2019, 19.30 Uhr
Bildquelle: © Christian Dageförde/BUR Werbung
Veröffentlicht: 25.1.2019