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Seelennöte an der Wolga
'KATJA KABANOWA' OPER VON LEOS JANACEK NACH DEM SCHAUSPIEL 'DAS GEWITTER' VON ALEXANDER N. OSTROWSKI. MUSIKALISCHE LEITUNG EKKEHARD KLEMM. INSZENIERUNG UND LICHT SEBASTIAN RITSCHEL. Radebeul, 16.05.2019. //Foto: Pawel Sosnowski www.pawelsosnowski.com

Seelennöte an der Wolga

Janaceks “Katja Kabanowa” an den Landesbühnen Sachsen.

„Die verkaufte Braut“ in Dresden und in Leipzig ab 15. Juni,  Dvořáks „Katja und der Teufel“ in Dessau, „Rusalka“ in Leipzig und bald Halle. In diesem Repertoire-Ambiente kommt Leos Janacek eindeutig zu kurz – trotz des Gastspiels des Nationaltheaters Brünn am 8. November 2019 mit seiner bekanntesten Oper „Jenufa“ in der Oper Leipzig als Beitrag zu „LEIPZIG 2019 TSCHECHIEN“. Die Landesbühnen Sachsen halten dagegen und zeigen eine glanzvoll gelungene und überregional bestens konkurrenzfähige Produktion von „Katja Kabanowa“.

von Roland H Dippel

 Ausbruchversuch in Bestform

Die Landesbühnen Sachsen befinden sich offenbar im Zenit einer Glückssträhne: Nach Previns „Endstation Sehnsucht“, Vollmers „Tschick“ und von Einems „Der Besuch der alten Dame“ wird jetzt „Katja Kabanowa“ in Radebeul zum kleinen Opernwunder, dessen Gelingen auch der Fähigkeit zur Einschätzung eigener Ressourcen und Möglichkeiten zu verdanken ist. An kleineren Opernhäusern gelingt dieses Opus meistens besser, für das emphatische Spezialbesetzungen weitaus besser geeignet sind Stars mit perfekter Belcanto-Grammatik. Wenn gut gespielt und gesungen wird wie hier, umso besser. Das Publikum zeigte sich nach der zweiten Vorstellung auf der Hauptbühne in Radebeul begeistert und zutiefst bewegt.

Operndirektor Sebastian Ritschel leitete das bis in die kleinste Nebenrolle ideale Ensemble an zur überlegt zwischen psychologischem Realismus und Stilisierung ausbalancierten Darstellung. Jede Bewegung hat und macht Sinn. Dazwischen gibt es keine Erklärungsversuche für das, was Janacek ungesagt ließ in seiner Texteinrichtung des Schauspiels „Das Gewitter“ von Alexander Ostrowski, die man hier in der deutschen Übersetzung von Alena Wagnerová und Ute Becker spielt.

Ist Katja Kabanova, die sich als verheiratete Frau in eine kurze leidenschaftliche Liaison stürzt und mit ihrem Selbstmord in der Wolga der Schande, aber vor allem den bedrückenden Verhältnissen entflieht, wirklich eine „russische Madame Bovary“, wie der Kritiker und Janacek-Übersetzer Max Brod nach der Uraufführung im Nationaltheater Brünn 1921 spekulierte? Katjas äußere und innere Nöte sind sogar stärker: Sie ist die Zielscheibe der eiskalten Aggressionen ihrer Wohlanständigkeit fordernden Schwiegermutter Kabanicha und des sie schlagenden, zum Alkohol flüchtenden Ehemanns Tichon. Kurz vor Katjas explosiver, selbstzerstörerischer Selbstanklage streiten der reiche Kaufmann Dikoj und der Lehrer Vá?a Kudrjáš darüber, ob Gewitter eine Strafe Gottes oder ein physikalisches Phänomen seien. Auch darauf gibt die Inszenierung keine Antwort, selbst wenn man am Ende Katjas Leiche in einem Krankenbett hereinfährt. Immer wieder entstehen zarte, anrührende Momente mit einer aus der Verhaltenheit pulsierenden erotischen Energie.

Freudlose Dunkelgesellschaft

Allgegenwärtig wie in der Musik fließt die Wolga in Projektionen: Während der nächtlichen Liebesszene sieht man wie vom Grund des Flussbetts durch die Wasseroberfläche nach oben auf vorbeiziehende Äste und Baumkronen. Oder das Ufer glimmt in goldenen Sommer- und Herbstfarben. Das enge Milieu diktiert alles: Stefan Wiel setzt drei sich nach hinten zuspitzende Lattenwände auf die sonst freie Bühnenfläche. Durch breite Ritzen dringt Licht in die freudlose Dunkelgesellschaft. Dieselben geraden Linien in Hell und Dunkel setzte Wiel auf die Kostüme. Katja, die ihr Geständnis im weißen Kleid wie gehäutet herausschleudert, und auch alle Anderen agieren zwischen intimen Geheimnissen und glatter Uniformität. Vom Eros getrieben sind sie mit Ausnahme Tichons, den Kay Frenzel aufwertet, indem er dessen Leidensfähigkeit mehr als Labilität in den Vordergrund stellt. Sogar in den Alten gärt der lange nicht versiegte Lebenssaft. Die bigotte Kabanicha (noch lange vor den Matronenjahren: Jasmin Etezadzadeh) und den drahtigen Dikoj (Paul Gukhoe Song) drängt es noch stärker zur Vereinigung als Katja und Boris. Katarzyna Wlodarczyk leiht der Varvara einen Mezzosopran von venushaft lockender Fülle. Ritschel bremst das vitale Potenzial seiner Sängerdarsteller manchmal etwas und hinter der Ruhe spürt man dadurch die innere Getriebenheit der Figuren umso deutlicher.

Beeindruckende musikalische Balance

Ekkehard Klemm gestaltet mit der Elbland Philharmonie Sachsen mehr melodisch als rhythmisch akzentuiert, ohne Wohlklang-Überdosis: Diese hätte Janacek nicht gewollt. Auch deshalb komponierte er die lange Titelpartie so, dass sich jede noch so perfekte Sängerin in vokale Grenzbereiche vorwagen muss. Wie gut Klemm das Janacek-Idiom trifft, zeigt sich an der Besetzung des zwischen Leidenschaft und Flucht zögernden Boris mit Sebastjan Podbregar und Edward Lee als Kudrjáš: Beider nicht sonderlich große Stimmen bleiben über der dichten Instrumentation ohne Überanstrengung fähig zu leiser Deklamation und feiner melodischer Entfaltung. Durch Stephanie Krone wird die Titelpartie sogar neben dieser beträchtlichen sängerischen Konkurrenz zum idealen Fixstern der Aufführung, weil sie Erregung, Leid, Unglück und Unsicherheit mit fast nur kleinen Bewegungen erspielt, Melos und Expression der das hochdramatische Fach streifenden Partie ohne Ängste mit den nötigen Reserven ersingt. Auch hier bestätigt sich die intensive Konzentration der Produktion. Ein überregional konkurrenzfähiger Höhepunkt dieser Spielzeit.

 

Annotation:

Landesbühnen Sachsen – Janacek: Katja Kabanowa – Besuchte Vorstellung: Do 30.05., 19:00 (Premiere: Sa 25.05.2019) – Wieder am So 09.06.2019, 19:00, Hauptbühne Radebeul; veröffentlicht 01.06.2019

Musikalische Leitung: Ekkehard Klemm – Inszenierung und Licht: Sebastian Ritschel – Ausstattung: Stefan Wiel – Katja Kabanowa: Stephanie Krone – Sawjol Prokofjewitsch Dikoj: Paul Gukhoe Song – Boris Grigorjewitsch: Sebastjan Podbregar – Kabanicha: Jasmin Etezadzadeh a. G. – Tichon:- Kay Frenzel – Vá?a Kudrjáš: Edward Lee – ;  Warwara: Katarzyna Wlodarczyk – Kuligin- Johannes Leuschner – Glaša: Gundula Ehret – Fekluša:  Ausra Pruselaityte – Eine Frau aus dem Volk: Suji Kim – Opernchor der Landesbühnen Sachsen – Elbland Philharmonie SachsenBühnenfestspiel der Triebhaftigkeit

 

Was noch:

Ein Höhepunkt der Spielzeit 2019/20: Heinrich Marschner – Der Vampyr. Romantische Oper (Uraufführung: Leipzig 1828) ab 14.03.2020 – http://www.landesbuehnen-sachsen.de/

 

Credits:

Alle Fotos: © Pawel Sosnowski

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